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Samstag, 8. Februar 2020

Noch nicht flügge: Birds of Prey (6/10)

Meine Treffsicherheit in Modevorhersagen ist offenbar nicht besonders groß, denn man sieht noch immer nicht viele Baseballschläger als Accessoires im städtischen Leben (vielleicht in Gotham, aber da war ich noch nicht). Aber vielleicht wird's ja diesmal was mit dem Holzhammer, den Harley Quinn (Margot Robbie) mit der gleichen Eleganz schwingen kann wie vor vier Jahren den Knüppel, als sie für das Suicide Squad rekrutiert wurde. In Birds of Prey sammelt sie nun selbst ein Gefolge ein, vom Joker und allen schlechten Geistern verlassen. Dieses einfache Mädchen auf sich allein gestellt in einer garstigen Stadt kann nicht mal ein Eiersandwich in Ruhe verspeisen, ohne von Gangstern verfolgt zu werden. Zugegeben, die meisten haben einen durchaus berechtigten Groll gegen das ehemalige Joker-Liebchen. Dabei will sie doch nur ab und zu ihr eigenes Ding drehen, mal zur Entspannung ein paar Schweinchen aufmischen und mit ihrer Hyäne kuscheln.



Also das mit dem Rekrutieren ergibt sich eher aus Versehen, und es dauert auch bis zum Finale. Eine merkwürdigere Voliere hat man noch nicht auf der Leinwand gesehen. Da wären die TV-erfahrene Jurnee Smollett-Bell (Friday Nights Lights, True Blood) als Black Canary mit der Killerstimme (und singen kann sie auch), Mary Elizabeth Winstead (Death Proof, Scott Pilgrim) als die Jägerin (übersetzt man so Huntress?) und Rosie Perez (Do the Right Thing) als - ähm - suspendierte Polizistin. Was sind das für schräge Vögel? Nicht dass Batgirl da besser reingepasst hätte, Fledermäuse sind ja Säugetiere. Dann gibt es noch die junge Ella Jay Basco als Cassandra, die einen Diamanten verschluckt, der ihr nicht gehört. Das schafft Raum für etliche mittellustige Verdauungswitze, Darmverschlingungen der Handlung und Verquirlen der Drehbucheingeweide.

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Birds of Prey hat mir definitiv besser gefallen als die Selbstmordrotte, aber das ist ein schwaches Lob. Bei Raubvögeln denke ich eigentlich an elegantes Schweben, blitzschnelles Zustoßen und dezentes Verschlingen der Beute. Damit haben die unerfahrene Regisseurin Cathy Yan und Drehbuchautorin Christina Hodson nichts am Federhut. Yans in China gedrehter Erstling hieß übrigens Dead Pigs: Zufall? Und Hodson schrieb die VW-Käfer-Petitesse Bumblebee, ein Ableger des Transformer-Universums, der mich auch nur gähnend hinter'm Steuer erwischte. Jedenfalls haben sie sich für Birds of Prey, ich erwähnte es schon, für den Holzhammer entschieden. Und der versetzt uns die volle Dröhnung. Ernsthaft jetzt, so viel Ohrensausen hat mir schon lange kein Film mehr verschafft. Und während ich nichts dagegen habe, dass zur Abwechslung mal die Mädels die Jungs verdreschen, so wünschte ich mir doch ein wenig mehr Dynamik in den Kampfszenen (das Stuntteam hat an sich Erfahrung u.a. aus Black Panther und Deadpool). Vielleicht habe ich in letzter Zeit zu viele Jackie-Chan-Filme gesehen, aber das wirkt doch alles recht behäbig. Robbie, Smollett-Bell und Winstead sind zwar beweglich, aber die unbeholfene Kamera macht daraus eher Zeitlupenballett als Kampfkunst. Von Rosie Perez ganz zu schweigen. Ich bin mir sicher, die 55jährige hat Qualitäten, die mir einfach entgangen sind. Aber schon in ihrem Debut vor 30 Jahren, im Intro von Do the Right Thing, gemahnt sie mich eher an Henne denn Habicht.

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Nun gut, gelangweilt habe ich mich kaum, geärgert auch nicht, und Margot Robbie als Leitvogel ist nie verkehrt. Aber trotzdem liefert DC hier wieder nur Konfektionsware und fliegt mit dem #MeToo-Schwarm. Ordentlich (6/10).

Samstag, 1. Februar 2020

Drei Hochzeiten und ein Todesfall: Little Women (9/10)

Es gibt Stoffe, die vertragen eine regelmäßige Neuinterpretation. Louisa May Alcotts Roman Little Women aus dem Jahr 1869 gehört sicherlich dazu. Er erzählt von der Jugend der vier March-Schwestern Meg, Jo, Beth und Amy in Massachusetts, die unter der Führung ihrer patenten, liebevollen Mutter Marmee zu jungen Erwachsenen werden. Sie hadern mit ihrer relativen Armut und ihren Zukunftssorgen in einer Zeit, in der für Frauen eigentlich nur die Heirat als Lebensziel galt. Der Vater kämpft im amerikanischen Bürgerkrieg und bleibt selbst nach seiner Rückkehr nur Randfigur. Wichtigere Bezugspersonen sind die reiche, exzentrische Tante und der Nachbarsjunge Laurie mit seinem grimmigen Großvater (der sich natürlich als herzensgut entpuppt). Den ersten Teil des Romans habe ich vor Urzeiten mal gelesen, in Buchform war mir die Geschichte aber doch zu sentimental.



Obwohl alle vier Hollywood-Verfilmungen (es gibt dazu auch noch etliche TV-Adaptionen) der historischen Periode mehr oder weniger treu bleiben, spiegeln die Interpretationen selbstverständlich ihre Entstehungszeit.wider. Es ist schließlich eine Emanzipationsgeschichte der Hauptfigur Jo, die mit ihrem burschikosen Auftreten und ihren schriftstellerischen Ambitionen die gesellschaftlichen Erwartungen unterläuft und als Alter Ego der Autorin gesehen wird. Meine erste Berührung mit dem Stoff war die gut 25 Jahre alte Verfilmung von Gillian Armstrong mit Winona Ryder als Jo. Der deutsche Verleihtitel Betty und ihre Schwestern betont, dass die musikalische Betty (Beth) das emotionale Zentrum der vier Schwestern bildet, und in Claire Danes fand man auch eine ideale Darstellerin. Als Küken Amy brilliert Kirsten Dunst, gegen die ihre ältere Version Samantha Mathis deutlich abfällt. Aber es ist eine wunderbare Adaption, die allein schon durch die damalige Popularität von Winona Ryder auch ihr Publikum fand. Sie ist wunderbar restauriert in 4K-Qualität u.a. im iTunes-Store erhältlich.



Natürlich muss sich jede Jo-Darstellerin messen lassen an der Legende, die die Verfilmung von 1933 (Vier Schwestern) dominierte. Katharine Hepburn war damals erst 25 Jahre alt, und sie agierte noch recht theatralisch (manche sagen: übertrieben) unter der sicheren Regie von Frauenversteher George Cukor. Ein Tiefpunkt war leider Spring Byington als klebrik-sentimentale Marmee. Ansonsten litt das damals überraschend erfolgreiche Projekt unter den technisch eingeschränkten Möglichkeiten des frühen Tonfilms. Beim Wiedersehen, zu dem ich meine vor zwölf Jahren aus England importierte DVD bemühen musste, mindert dies leider etwas das Sehvergnügen, genauso wie die Besetzung mit Mittzwanzigern als Teenager. Auch wenn ich sie einem jungen Publikum heutzutage nicht empfehlen kann, liebe ich diese Version noch immer.



Gleiches gilt leider nicht für die Star-gespickte Technicolor-Neuverfilmung von 1949, Kleine tapfere Jo. June Allyson hatte zwar eine verführerisch-rauchige Stimme und ein bezauberndes Lächeln, welches sie auch in diversen Musicals gewinnbringend zeigen durfte, aber als Jo war sie ein Leichtgewicht, das gegen die Superstars Margaret O'Brien als Beth, Janet Leigh (Psycho) als Meg und die hinreißende 17jährige Liz Taylor als Amy nicht so recht bestehen konnte.



Nun nimmt sich  25 Jahre nach Gillian Armstrong (die leider seitdem kein vergleichbares Projekt stemmen konnte) Greta Gerwig als zweite Frau dieses Projektes an. Die wichtigste Neuerung ihrer Adaption ist das Aufbrechen der chronologischen Erzählung in zwei Zeitebenen. So beginnt sie mit Jos erstem Verkauf eines Manuskripts, bevor zu ihren Kindheitserinnerungen sieben Jahre zurückgeschwenkt wird. Das bedeutet, dass der Film Teile seiner Geschichte gleich am Anfang spoilert, da man kaum davon ausgehen kann, dass die Generation der 36jährigen Regisseurin mit der Handlung vertraut ist. Des weiteren nähert sie Jos Geschichte weiter an die Alcotts Biographie an, etwa indem der Verleger darauf besteht, dass ihre Heldinnen am Ende heiraten (oder sterben). Das funktioniert für mich eigentlich ganz gut, bis auf die paar eingestreuten feministischen Manifeste, die Jo und einmal auch Amy von sich geben müssen. Aber ansonsten ist dies eine wunderbar luftige, spaßige Angelegenheit. Sie ist dem Stoff entsprechend angemessen sentimental (mir jedenfalls sind öfter die Tränen gekommen), vielleicht einen Tick zu gut unterstützt durch Alexandre Desplats herzergreifende Musikuntermaltung. Die Ausstattung, Kostüme und Lokationen sind höchst detailliert, ohne inszeniert zu wirken - der Effekt ist, dass der Zuschauer in die realistische Darstellung einer vergangenen Ära katapultiert wird. Und, selbstverständlich am wichtigsten, die Darstellerinnen sind phänomenal, und ihr fortgeschrittenes Alter ist mir diesmal nicht negativ aufgestoßen (die jüngste Schwesterndarstellerin ist gerade 21 geworden).

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Es ist nur eine Frage der Zeit, wann Saoirse Ronan ihren ersten Oscar gewinnt. Die New Yorkerin mit irischen Wurzeln wird im April erst 26 und kann bereits vier Nominierungen vorweisen. Sie hat Präsenz und wirkt doch absolut natürlich, ist keine klassische Schönheit und doch magnetisch. Ihre Leistung als Jo steht der von Winona Ryder in nichts nach, die für Little Women damals ihre zweite Nominierung in Folge gewann (nach Scorseses Zeit der Unschuld), bevor ihre Karriere ins Straucheln geriet. Nach Jo am besten ausgearbeitet ist diesmal die Rolle der Amy. Die gerade 24 gewordene Engländerin Florence Pugh (gesprochen: "Pjuh", auf dem Foto in Blau) schafft es irgendwie, als junger Teen und als Erwachsene glaubwürdig zu bleiben, so dass einem die an sich unsympathischste Schwester doch ans Herz wächst. Laut IMDB spielt sie auch Gitarre und Klavier und singt ihre eigenen Lieder. Im Film ist sie das Maltalent, aber ihre tiefe Stimme, offenbar durch eine Luftröhrenkrankheit geformt, gibt ihr eine geheimnisvolle Aura. Dritte im Bunde ist Emma Watson als älteste und hübscheste Schwester Meg. Wie viele ehemalige Kinderstars hat die Hermione-Darstellerin ihre Niedlichkeit noch nicht ganz abgelegt (Natalie Wood war das bis zu ihrem frühen Tod nicht gelungen). Es wird noch dauern, bis ich ihr Die Schöne und das Biest verzeihe, aber als eitle Meg, die dann doch ihrem Herzen folgt und einen einfachen Tutor ohne Karrierechancen heiratet, ist sie effektiv und manchmal sogar anrührend. Auch ihrer Rolle vermag Gerwig ein paar neue Nuancen abgewinnen. Eliza Scanlen als Beth ist dagegen unauffällig und rückt lange nicht so in den Mittelpunkt wie dereinst Claire Danes.

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Dann gibt es noch Laura Dern als Marmee, und ich muss gestehen, dass sie hier der von mir verehrten Susan Sarandon ebenbürtig ist. Obwohl für Marriage Story Oscar-nominiert, trägt dieser Auftritt natürlich zu ihren Chancen bei. Es ist halt nicht so, dass nur die Rolle zählt, wie einige Akademie-Mitglieder jüngst sogar zugegeben haben, in einer Erklärung, warum sie Adam Sandler in diesem Jahr nicht berücksichtigt haben (er war wohl im gerade erst veröffentlichten Netflix-Thriller Der schwarze Diamant sehr überzeugend). Als Nachbarsjunge Laurie zeigt sich Timothée Chamalet gewohnt charmant-zerbrechlich, und als sein Großvater verschwindet Oscar-Gewinner Chris Cooper (Adaption) ganz hinter seinem grauen Bart. Nennenswert ist noch der 36jährige Charmeur Louis Garrel als Jos New Yorker Bewunderer Friedrich Bhaer, immerhin deutlich jugendlicher als Gabriel Byrne im Vorgänger, auch wenn dieser Beziehung etwas mehr Leinwandzeit gut getan hätte (aber das war wahrscheinlich Gerwigs Absicht). Ach ja, und dann gibt es noch Tante March, gespielt von einer rüstigen 70jährigen namens Meryl Streep.

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Es ist sicher richtig, dass Greta Gerwig als Regisseurin noch lernen kann. Dies ist schließlich erst ihr zweiter Studiofilm nach Lady Bird, für das sie vor zwei Jahren eine Doppelnominierung erhielt. Die Coming-of-age-Geschichte mit ebenfalls Saoirse Ronan in der Hauptrolle war nicht so mein Fall, was aber nicht bedeutet, dass ich ihre Leistung nicht anerkennen will. Sie entwickelt sich zur Stimme ihrer Generation, und wenn sie noch mehr dem Motto "Show, don't tell" folgt, steht der erste Oscar für eine Regisseurin durchaus in den Sternen. Was Little Women (heuer nicht mehr übersetzt) betrifft, kann ich mich nicht so recht für einen Favoriten entscheiden und habe für alle drei Varianten (die mit June Allyson mal ausgenommen) die gleiche Wertung vergeben: Herausragend (9/10).

Damit ist meine Berichterstattung über die diesjährigen Oscar-Kandidaten abgeschlossen. Für den Besten Film treten am 9. Februar an:

Little Women (9/10)
Jojo Rabbit (8/10)
Once Upon a Time in Hollywood (7/10)
1917 (7/10)
The Irishman (6/10)
Marriage Story (4/10)
Joker (1/10)
Le Mans 66 (?)
Auf dieses Autorennen mit Christian Bale und Matt Damon bin ich nicht besonders scharf, werde es mir demnächst aber trotzdem in optimaler Schärfe auf UHD-Scheibe anschauen.
Parasite (?)
Dieser südkoreanische Geheimtip läuft leider nur in Schuhschachtelkinos, auch hier warte ich aufs Heimkino.

Samstag, 25. Januar 2020

Frühling für Taika: Jojo Rabbit (8/10)

Johannes bekommt den Spitznamen Jojo Rabbit, als er es nicht über sich bringt, einem Kaninchen den Hals umzudrehen. Das wäre nicht schlimm, er ist erst zehn, aber doch auch ein stolzer Nazi mit deutscher Seele! Aber in die Hitlerjugend passt er wohl doch nicht, vor allem nach jenem Zwischenfall mit der Granate. Nur sein eingebildeter bester Freund Adolf hält zu ihm, auch wenn der ein wenig launenhaft ist und am liebsten jeden Misserfolg auf Churchill schieben will...



"Komödie ist Tragödie plus Zeit", so Alan Alda als selbsternannter Experte in Woody Allens Verbrechen und andere Kleinigkeiten. Nach 75 Jahren sollte genug Zeit vergangen sein, um eine weitere Nazi-Satire zu vertragen, auch wenn uns Fachleute die einzige Art des Umgangs mit dem Holocaust erklären wollen: weihevoll. Aber bekommt man nicht ein besseres Bild von einem historischen Ereignis, wenn man es unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtet? Und so erhellen für mich neben Schindlers Liste und Der Pianist auch Das Leben ist schön und The Producers (von dem mir auch das Muscial-Remake gefallen hat) diese schreckliche europäische Vergangenheit (der 93jährige Altmeister Mel Brooks hat sich bei den AFI-Awards übrigens begeistert über Jojo Rabbit geäußert). Und man sollte nicht vergessen, dass die Geschichte aus der Perspektive eines Zehnjährigen erzählt wird!

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Jojo Rabbit konzentriert sich auf eine kleine, überschaubare Situation, nämlich eine deutsche Kleinstadt gegen Ende des Krieges. Auf der einen Seite knüpft die SS jeden Tag "Vaterlandsverräter" auf, auf der anderen wissen die Verantwortlichen sehr wohl, dass die Sache verloren und die Durchhalteparolen absurd sind. Herrlich fand ich das schrille Paar Captain Kleinzendorf (Sam Rockwell) und Finkel (Theon Greyjoy Alfie Allen), komisch auch Rebel Wilsons Fraulein Rahm. Alle Darsteller sprechen übrigens Englisch mit deutschen Akzenten, die mit Absicht zwischen authentisch und albern angesiedelt sind. Wie eine Synchronisation das einfangen will, ist mir schleierhaft, genau wie einen der besten Witze des Films, als Finkel "German Shepherds" auftreibt (so nennen Angelsachsen  Schäferhunde, aber leider auch: deutsche Schäfer). Herrlich auch die Einrahmung des Films mit den deutschsprachigen (Original!)Versionen zweier Klassiker: "Komm gib mir deine Hand" von den Beatles und "Helden" von David Bowie.

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Jojo Rabbit liefert aber durchaus nicht nur Klamauk, sondern wird  dem ernsten Hintergrund durchaus gerecht. Hierfür sorgt die sorgfältig ausgearbeitete Beziehung zwischen Jojo, seiner Mutter und dem jüdischen Mädchen Elsa (pfiffig: die 19jährige Thomasin McKenzie), das diese auf dem Dachboden des Hauses versteckt. Das alles und (wie immer) viel zu viel erfährt man bereits im Trailer (der als Bonus eine deutsche Version von Neil Diamonds I'm a Believer enthält, die im Film nicht verwendet wurde). Das Drehbuch schrieb der selbsterklärte polynesische Jude Taika Waititi, bevor er berühmt wurde mit der Vampirdokumentation 5 Zimmer Küche Sarg und natürlich Thor: Ragnarok. Ich finde, der geographische und zeitliche Abstand tut dem Ergebnis gut. Wenn ich richtig gesehen habe, war übrigens Waititis Stammschauspielerin Rachel House für das Dialect Coaching des kleinen Londoners Roman Griffith Davis verantwortlich, der seine Sache übrigens sehr gut macht.

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Keine Überraschung, aber endlich einmal anerkannt ist die Leistung von Scarlett Johansson als Jojos Mutter. Sie spielt weder die verhärmte Kriegswitwe noch eine Gluckenmutter, sondern einen Freigeist, der sich gegen den Strom stemmt und doch von den Ereignissen überrollt wird. Allein die Szene, in der sie für den kleinen Jojo einen Dialog zwischen Mutter und Vater spielt, ist ein Kinoticket wert. 2020 ist definitiv das Jahr der erst 35jährigen, die ich bereits in 34 Filmen gesehen bzw. (in her und im Dschungelbuch) gehört habe! Sie begann gleich an der Spitze, im Pferdeflüsterer an der Seite von Robert Redford, für die Coens in The Man Who Wasn't There und in Terry Zwigoffs leider wenig bekannter Comicverfilmung ohne Superhelden, Ghost World. Unter anderem für Sofia Coppolas Lost in Translation und Woody Allens Match Point war sie immerhin für Golden Globes nominiert, aber nie für den Oscar. Bis jetzt, denn in diesem Jahr steht sie gleich zweimal auf der Liste: für Marriage Story als Hauptdarstellerin und für Jojo Rabbit als Nebendarstellerin. Leider hat sie starke Konkurrenz in Laura Dern (Nebenrolle) und Bridget Jones Renée Zellweger, der in Judy offenbar eine großartige Darstellung der alternden Judy Garland gelungen ist. Aber noch ist nichts entschieden! Selbst wenn es mit einem Oscar nichts wird, kann Scarlett es wie Robert Downey Jr. halten, wenn im Frühjahr ihr Black-Widow-Abenteuer durchstartet: Besser ein Zuschauer-Magnet als ein preisgekrönter Künstler am Hungertuch ;-)

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Jojo Rabbit ist nach Knives Out wieder ein Kandidat im Oscar-Rennen, der mir besser gefallen hat als die großen Favoriten, hat aber wohl wenig Chancen auf einen Gewinn. Macht nichts, das mindert seine Qualität nicht, auch nicht der bislang moderate Erfolg an den Kinokassen. In Berlin zeigen zum Glück etliche Kinos die Originalfassung. Sehr gut (8/10).

Klassische Rezension: Das Leben ist schön (Roberto Benigni, 1997)

Ein Film, der viele verschiedene Emotionen auslöst. Beobachtet man zunächst mit einem Schmunzeln Guidos Streiche und erfreut sich an seiner Unbekümmertheit, kann man sich wenig später vor Lachen kaum halten (wunderbar die Orchestrierung der Tricks, mit denen er Dora verzaubert). Und auch wenn einige Vorboten des Unheils zu erkennen sind (die Zwillinge mit Namen "Adolpho" und "Benito"), so fühlt man sich doch beschwingt durch diese Komödie vor romantischer italienischer Kulisse. Doch dann schlägt das Schicksal zu, und das Lachen bleibt einem im Halse stecken. Der lebensfrohe Guido wird zum Held, um seinen Sohn durch die Zeit in einem Vernichtungslager zu bringen, dessen Grausamkeit gerade genug angedeutet wird, um als Dokument des dunkelsten Punktes in der Geschichte des 20. Jahrhunderts bestehen zu können (Benigni arbeitete eng mit jüdischen Gemeinschaften zusammen, um keine groben Fehler in der Darstellung zu machen). Doch das Thema des Films ist die Liebe; die Liebe zwischen Guido, Dora und ihrem Sohn und die Liebe zum Leben schlechthin. Und das versteht Benigni so gut, daß es kaum einen Zuschauer geben wird, der bei der Schlußszene nicht den Tränen nahe ist.

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Horst Buchholz gibt einen in seiner Gleichgültigkeit erschütternden deutschen KZ-Arzt. Nicoletta Braschi, von manchen als Schwachpunkt des Films genannt, findet genau die richtigen Nuancen für die Rolle der Dora. Daß sie weder die strahlende Schönheit noch das komische Talent ist, macht die Liebesgeschichte erst glaubhaft und bewahrt sie vor Kitschigkeit. Man bedenke, daß sie im ersten Teil den Part des "Straight Man" für den Komiker Benigni übernimmt, im zweiten Teil dann die Emotionen zeigen muß, die Benigni selbst nicht ausdrücken kann. Ein Meisterwerk und mein Lieblingsfilm des Jahres (10/10).

Im Westen nichts Neues: 1917 (7/10)

Es ist sicher ein nobles Unterfangen, auch 100 Jahre später die Schrecken des Ersten Weltkriegs in Erinnerung zu halten. Aber kann Sam Mendes' selbst ausgedachtes Traumprojekt, welches er seinem Großvater widmet (der damals selbst "gedient" hatte), dem Stoff wirklich Neues abgewinnen? Schließlich gab es dazu jüngst erst Peter Jacksons offenbar eindrucksvolle Dokumentation They Shall Not Grow Old, mit technisch verblüffend gut restaurierten Orginalaufnahmen (das gleiche Verfahren wendet PJ gerade auf das Bildmaterial zum letzten Beatles-Album Let It Be an).



1917 basiert auf einem Gimmick, nämlich der Illusion, dass die zwei Stunden Handlung in Realzeit in einer kontinuierlichen Einstellung gezeigt werden, unterbrochen nur durch ein nächtliches Blackout. Tatsächlich wurden die Schnitte natürlich einfach geschickt  versteckt, wenn z.B. die Figuren kurz hinter einem Hindernis verschwinden. Auf mich wirkte das leider hochkünstlich, insbesondere in der ersten Hälfte, in der die Kamera die beiden Korporale hartnäckig verfolgt, sie nie aus dem Blick verliert, auch auf Kosten der aufwendig gestalteten Kulissen, zumal oft ohne Tiefenschärfe gedreht wurde und nur die beiden Soldaten im Fokus sind; es ist keine Handkamera, aber doch eine sich stets bewegende Kamera, die ihren Objekte mal vorauseilt, mal die Position eines dritten Begleiters einnimmt. Diese Perspektive scheint mir eher verwandt mit Computerspielen, insbesondere vom Typ Third Person Shooter (man sieht die zu steuernde Figur vor sich) - nicht dass ich damit irgendeine Erfahrung hätte. Bei mir jedenfalls hat dies für eine kritische Distanz zu den Charakteren geführt, so dass mir ihr Schicksal im Endeffekt egal war. Man weiss ja, wie viele Menschen damals auf übelste Weise umkamen - warum sollen mir diese beiden nun besonders wichtig sein? Man erfährt im Laufe des Films einfach zu wenig über sie.

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Wenn die Kamera ab der Mitte des Films mal ab und an das Blickfeld der Protagonisten im Fokus hat, wird man als Zuschauer durchaus mit eindrucksvollen Bildern belohnt. Insbesondere die Schattenspiele in einer brennenden Kleinstadt bei Nacht bleiben in Erinnerung. Kamerachef Roger Deakins hat hierfür seine 15. Oscar-Nominierung bekommen. Seine erste erhielt er übrigens 1995 für Die Verurteilten, aber erst 2018 konnte er eine Statue gewinnen (ausgerechnet für Blade Runner 2049). Ebenfalls seine 15. Nominierung bekam jetzt Thomas Newman für seine sparsame Musikuntermalung; seine erste ebenfalls für Die Verurteilten. Er hat bislang noch nie gewonnen!

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Sehr untypisch für einen Oscar-Favoriten ist, dass es keine Schauspieler-Nominierungen gibt. Die Stars (Colin Firth, Benedict Cumberbatch) haben eher irritierende Cameos, als Nebendarsteller hinterlassen allenfalls Mark Strong (Merlin in Kingsman) als Captain und Andrew Scott (Moriarty in Sherlock) als Leutnant einen Eindruck. In den beiden Hauptrollen schlagen sich die beiden jungen Darsteller beachtlich. Dean-Charles Chapman ist bekannt als Tommen Baratheon (-Lannister) aus Game of Thrones, während der 27jährige George McKay bereits in einigen kleinen Filmrollen zu sehen war. Aufgrund der Drehart ist ihre Leistung aber eher technischer Art.

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1917 bleibt leider an der Oberfläche, ohne doppelten Boden, ohne einen Bezug zu heutigen Kriegen herzustellen. Dazu schaut man sich besser Lewis Milestones Remarque-Verfilmung Im Westen nichts Neues (1930) oder Kubricks Wege zum Ruhm (1957) an. 1917 ist dagegen eine leidlich spannende Abenteuergeschichte, die vor allem durch ihre Machart interessant ist. Vor 20 Jahren hat uns Regisseur Sam Mendes, basierend auf dem Drehbuch von Alan Ball, mit American Beauty das definitive Meisterwerk der 90er geschenkt, welches bei der Oscar-Verleihung vier der fünf Hauptpreise einheimsen konnte (und die Akademie ärgert sich inzwischen sicher, dass man damals Hilary Swank Annette Bening vorzog). Dieses Jahr ist sein Beitrag wieder haushoher Favorit, aber diesmal bin ich nicht sehr begeistert davon. Tatsächlich schlägt mein Herz eher für Tarantinos Once Upon a Time in Hollywood (und gebt dem Mann endlich einen Regie-Oscar und tröstet ihn nicht wieder mit dem Drehbuchpreis!), auch wenn ich beiden Filmen die gleiche Punktewertung zukommen lasse: Gut (7/10).

Klassische Rezension: Die Verurteilten (The Shawshank Redemption, 1994)

Eine Meditation über Menschlichkeit, Hoffnung und Freundschaft. In der IMDB ist "The Shawshank Redemption" nach dem "Paten" der bestbewertete Film. Natürlich ist er nicht der zweitbeste Film des Jahrhunderts. Aber seine Qualität ist offenbar selten unumstritten (etwas im Gegensatz zum anderen Meisterwerk von 1994, "Pulp Fiction"). Er hat eine einfache Botschaft, die man mit Worten nicht ausdrücken kann. Und genau das ist es, was ein bedeutendes Kunstwerk ausmacht.



Doch auch wer "nur" Unterhaltung sucht, wird sie hier finden. Wenige Filme können den Zuschauer für zweieinhalb Stunden derart fesseln. Und das erreicht Frank Darabont völlig ohne Action! Ruhig, bedächtig läßt er 20 Jahre vor uns abrollen. In der geschlossenen Gesellschaft des Gefängnisses wird der Lauf der Zeit nur an Kleinigkeiten deutlich - etwa an der alle fünf Jahre erfolgenden Ablehnung eines Bewährungsantrages, oder dem Wechseln der Pinup-Girls von Rita Hayworth über Marilyn Monroe zu Raquel Welsh. Diese sind übrigens die einzigen weiblichen Wesen, die eine Rolle spielen: Nicht mal eine Liebesgeschichte gibt es. Doch auch das läßt die Freundschaft zwischen den Sträflingen Andy und Red vergessen.

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Die Intensität der Darstellung ist auch das Verdienst zweier großer Schauspieler: In Tim Robbins' Gesicht spiegeln sich alle Empfindungen, die ein Mensch in 20 Jahren haben kann, und in Morgan Freemans Stimme liegt die Weisheit dessen, der all dies beobachtet und verarbeitet hat (glücklich, wer die englische Originalfassung erleben darf). Übrigens sind beide noch ohne Oscar-Ehrungen (Morgan Freeman mußte sich 1994 Tom Hanks für "Forrest Gump" geschlagen geben; an Zemeckis' Film gingen auch die weiteren Nominierungen verloren). Wie ungerecht doch manchmal die Akademie sein kann...

Man fragt sich, wie die Hollywood-Maschinerie Frank Darabont einen solchen Erstling hat drehen lassen. Manchmal geschehen solche Unfälle; Costner war immerhin schon ein Schauspieler-Star, als er "Der mit dem Wolf tanzt" drehte; mit "American Beauty" ist ein ähnliches Kunststück fünf Jahre später Sam Mendes geglückt. Was nur zeigt, daß Qualität selbst in Hollywood nicht immer untergehen muß. Man fragt sich zweitens, ob die Romanvorlage von Stephen King genauso gut ist. Kings Werke sind ja mit sehr unterschiedlichem Ausgang verfilmt worden - vom ausgezeichneten "Stand By Me" über den Erfolg "Misery" zum miserablen zweiten Versuch von Darabont, "The Green Mile". Es zeigt sich wieder einmal, daß Kino eine unabhängige und unberechenbare Kunstform ist.

Bem.: Inzwischen steht der Film an der Spitze der IMDB-Top250.

Meine Anmerkung zu "Green Mile" von damals:

Hier hat Frank Darabont so ziemlich alles falsch gemacht, was seinen Erstling "Die Verurteilten" ("The Shawshank Redemption") zu einem Meisterwerk gemacht hatte. Die Handlung ist vorhersehbar, die Charaktere sind unglaublich eindimensional und lassen sich sofort in "Gut" und "Böse" einordnen. Wenn eine Botschaft beabsichtigt war, versucht "The Green Mile" sie uns mit dem Holzhammer einzuprügeln. Das ist Kitsch in Reinkultur - schade, daß derart gute Schauspieler ihr Talent hierfür vergeudet haben.

Samstag, 11. Januar 2020

Die aktuellen Prestigefilme von Netflix

Mit seinen drei Prestigefilmen konnte Netflix in diesem Jahr 15 Golden-Globe-Nominierungen herausschlagen, und am Montag werden sicher auch ein paar Oscar-Nominierungen folgen. Leider kam bei mir so recht keine Begeisterung auf.

Marriage Story (4/10)




Marriage Story hieße besser Divorce Story. Regisseur und Autor Noah Baumbach versucht hier, seine Scheidung von Jennifer Jason Lee zu verarbeiten, sicherlich mit dem Versuch, das persönliche Drama zu verallgemeinern. Für mich ergibt das nur eine anstrengende Szene nach der nächsten, mit Figuren, zu denen ich keine Beziehung aufbauen konnte: verwöhnte erfolgreiche Künstler mit aufgeblasenem Ich, die an unser Mitgefühl appellieren, weil sie die 2000 Dollar Anwaltskosten pro Stunde nicht sofort in bar bezahlen können. Am unsympathischsten kommt denn auch Laura Dern als Staradvokatin daher, was auch eine Leistung ist und bereits mit einem Golden Globe belohnt wurde. Vize-Admiral Holdo steuert wohl nach zwei Nominierungen auf ihren ersten Oscar hin. Den würde ich viel eher Scarlett Johansson gönnen, die in der Hauptrolle zwar auch zickig wirkt, aber immerhin so etwas wie eine glaubwürdige Figur schafft. Ihr zur Seite steht Kylo Ren Adam Driver, dessen Erfolg ich auch nach einem Dutzend Filmen nicht so recht nachvollziehen kann. Die Scheidungsgeschichte um Noah Baumbachs Eltern in The Squid and the Whale hatte ich vor 15 Jahren noch wohlwollend aufgenommen, aber seitdem kann ich mit seinen Filmen immer weniger anfangen. Erträglich (4/10).

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The Irishman (6/10)




Die Meinungen schwanken zwischen "Scorseses bestem Film" und "Gähnfest". Für mich liegt die Wahrheit leider irgendwo in der Mitte. Dreieinhalb Stunden sind für diesen Stoff einfach zu lang, und bei einer traditionellen Kinoauswertung hätte man Marty sicher auch genötigt, eine Stunde rauszuschneiden. So ist das Ding selbst für einen Fernsehabend zu aufgedunsen. Inhaltlich ist The Irishman eine merkwürdige Interpretation einer ohnehin schon wenig glaubwürdigen Vorlage (den Erinnerungen des Mafiakillers Frank Sheeran "I heard you paint houses", der angeblich auch mit Jimmy Hoffas Blut gemalt hatte). Trotzdem bietet er natürlich starke Szenen. Mit am besten haben mir die fast wortlosen Szenen mit Sheerans Tochter Peggy gefallen (Lucy Gallina und später Anna Paquin), sowie Joe Pesci als bedrohliche Eminenz im Hintergrund.

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Womit wir schon bei des Pudels Kern angekommen wären. Ein Großteil des Budgets und der Publicity dreht sich um die Verjüngung der Hauptdarsteller. Das funktioniert bei Joe Pesci ziemlich gut, bei Robert DeNiro so la la (solange er sich nicht viel bewegen musste) und bei Al Pacino überhaupt nicht (was die Hollywood Foreign Press Association nicht davon abhielt, ihn für einen Golden Globe zu nominieren). Es gibt auch keinen Grund, den bei seinem Verschwinden 63 Jahre alten Jimmy Hoffa mit einem 80jährigen zu besetzen (und dann hätte man auch Jack Nicholson nehmen können, der ja bereits Erfahrung mit dieser Figur hat). Einzige Erklärung ist, dass dies Scorseses letzte Chance war, mit der Legende Pacino zusammenzuarbeiten. Sam Mendes stellte bei seiner Dankesrede für den Golden Globe als bester Regisseur fest, dass alle lebenden Regisseure im Schatten von Martin Scorsese ständen. Kann es sein, das Marty nur noch ein Schatten seiner selbst ist? Ordentlich (6/10).

Die zwei Päpste (7/10)




Wer hätte gedacht, dass zwei Stunden erdachte Gespräche zwischen zwei Klerikern derart unterhaltsam sein könnten? Denn viel mehr passiert nicht in Die zwei Päpste, in dem die historischen Ereignisse nur Hintergrund sind, nämlich die Wahl und spätere Abdankung von Papst Benedict ("Wir sind Papst!") und die Nachfolge durch seinen größten innerkirchlichen Kritikers (wenn man dem Drehbuch trauen darf) Jorge Bergoglio (aka Francis). Als Bonus unterhalten sich die beiden alten Herren allerdings vor verblüffend echt wirkenden Kulissen, so ein atemberaubender Studionachbau der sixtinischen Kapelle. Zwischendurch gibt es ein paar meist in Schwarzweiss gehaltene Rückblenden aus Argentinien insbesondere in den Junta-Jahren (lobenswerterweise wie viele Passagen des Films mit Untertiteln; für Spanisch, Latein, Italienisch).

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Die zwei Päpste ist Schauspielerkino par excellence, vollkommen getragen von den Darbietungen der beiden Altstars Jonathan Pryce, zuletzt bereits ein Kirchenvater in Game of Thrones, und Anthony Hopkins, dem religiöse Epen auch nicht fremd sind - neben Methusalem in Darren Aronofskys Totaluntergang Noah verkörperte er schließlich jüngst noch den Gottvater Odin. Es ist herrlich, den Veteranen zuzuschauen und zuzuhören. Sie machen vergessen, dass es sich im Grunde um ein manipulatives Märchen handelt, das die Personen und Ereignisse verklärt. Kein Wunder bei einem Drehbuch von Anthony McCarten, der bereits in Die Entdeckung der Unendlichkeit und Bohemian Rhapsody Geschichtsfälschungen vornahm. Regie führte der brasilianische Katholik Fernando Meirelles, der 2002 durch das wuchtige City of God berühmt wurde, seitdem aber weniger Glück und Erfolg hatte- sein letztes hochkarätiges Projekt von 2008, die Stadt der Blinden nach einem Roman von Nobelpreisträger José Saramoga, muss man als gescheitert ansehen. Mit Die zwei Päpste liefert er nun wieder große Unterhaltung. Aufgrund des geschönten Drehbuchs kann ich leider nur ein Gut vergeben (7/10).

Gewitzte Messer: Knives Out (8/10)

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Was macht man, wenn man plötzlich zum meistgehassten Regisseur des Planeten geworden ist? Rian Johnson hat sich nach The Last Jedi ein halbes Jahr zurückgezogen, ein Drehbuch geschrieben und dieses flugs mit einer Rige herausragender Darsteller verfilmt. Das Ergebnis ist das erste Wow-Erlebnis meines Kinojahrs: Knives Out.



Knives Out ist ein amerikanisches Original, das gleichzeitig eine liebevolle Hommage an Agatha Christie ist, besonders an Hercule Poirot. Der Bestsellerautor Harlan Thrombey (grandios gespielt vom 90jährigen Christopher Plummer) hat sich an seinem 85. Geburtstag die Kehle aufgeschlitzt. Auch wenn es in seinen Krimis so manche seltsame Todesart vorkommt, erscheint dies doch verdächtig. Und mehr und mehr stellt sich heraus, dass etliche der versammelten Familienmitglieder durchaus ein Motiv gehabt haben könnten, den Patriarchen zu beseitigen. Auftritt Benoit Blanc, ein für seine messerscharfen Deduktionen berühmter Detektiv, der am Schauplatz dieses merkwürdigen Selbstmordes auftaucht und die Polizei "berät". Und hier folgt gleich der zweite Besetzungscoup: Blanc wird von niemand anders gespielt als dem aktuellen 007 Daniel Craig, mit graumeliertem Haarschopf und einem herrlichen Südstaatenakzent. Und sollte Bond 25 floppen, hat Craig mit dieser Rolle seine Berufsehre allemal gerettet.

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Knives Out ist das Ensemble-Vergnügen, das die Neuverfilmung vom Mord im Orientexpress vor einigen Jahren leider nur versprochen hatte, trotz oder vielleicht wegen der Stars, darunter Judi Dench, Michelle Pfeiffer, Penélope Cruz, Johnny Depp, Derek Jacobi und Regisseur Kenneth Branagh als Poirot (es war allerdings erfolgreich genug, dass die Fortsetzung Tod auf dem Nil im kommenden Oktober folgt). Bei Rian Johnson gibt es keine Stars, dafür schillernde Figuren, denen von gewieften Charakterdarstellern Leben eingehaucht wird. Die Familie Thrombey bilden so u.a. Jamie Lee Curtis (Ein Fisch namens Wanda), Toni Collette (Little Miss Sunshine), Michael Shannon (Shape of Water), der 70jährige Don Johnson (Miami Vice) und Chris Evans, dessen Rolle kaum unterschiedlicher sein könnte zum Avengers-Anführer Steve Rogers.

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Heimlicher Star des ganzen ist allerdings die 31jährige Kubanerin Ana de Armas, die als Pflegerin Marta des greisen Thrombey zwar "zur Familie gehört", deren Herkunft allerdings in einem schönen Running Gag keines der Familienmitglieder korrekt zu benennen vermag. Eindrucksvoll immerhin, wie viele lateinamerikanische Staaten ihnen geläufig sind: Kolumbien - Brasilien - Ecuador - Venezuela... Ana de Armas, im Film übrigens viel zurückhaltender und gleichzeitig hübscher als ihr IMDB-Porträt, wird demnächst erneut an Daniel Craigs Seite zu sehen sein, nämlich als "Paloma" in Keine Zeit zu sterben. Mir war sie bereits in einer geschnittenen Szene von Yesterday aufgefallen. Ihre Beteiligung an Blade Runner 2049 will ich mal übersehen. Wie Craig (und der Film als beste Komödie) war sie gerade für einen Golden Globe nominiert, auch wenn es für eine Oscar-Nominierung wohl in diesem Jahr noch nicht reichen wird. Aber mit Ana wird in nächster Zeit zu rechnen sein.

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Knives Out ist nicht perfekt. Einige Handlungselemente sind genretypisch ziemlich weit hergeholt. Aber die innere Logik wird gewahrt, es darf geschmunzelt und gelacht werden, und für gut zwei Stunden fühlte ich mich glänzend unterhalten. Sehr gut (8/10)!


Freitag, 3. Januar 2020

Jahresrückblick 2019

Und ich sah: Und siehe, ein fahles Pferd, und der darauf saß, dessen Name ist Disney; und Disney+ folgte ihm. Und ihnen wurde Macht gegeben über den vierten Teil der Erde, zu verdummen mit Sequels und Remakes und Prequels und durch die größte Menge an Merchandising-Artikeln aller Studios.

Ein Freund hat mir vor vielen Jahren mal ein musikalisches Duo empfohlen mit den Worten „Die klingen wie Simon & Garfunkel“. Sie schrieben zwar keine unvergänglichen Melodien, erfanden keine pfiffigen Gitarrenriffs, keine genialen Gesangsarrangements oder kluge Texte, aber sie klangen halt "ähnlich". Es ist typisch menschlich, dass wir mehr von dem wollen, was wir lieben. Aber schätzen wir Kunstwerke nicht gerade deshalb, weil sie einmalig sind, weder wiederhol- noch kopierbar? Selbst der Zauber der Mona Lisa hat inzwischen gelitten an all den vorhandenen Variationen, so witzig sie auch sein mögen. Gleiches gilt auch für Filme: Remakes, Fortsetzungen, Prequels verwässern eher die Kraft des Originals, verleiden es uns im schlimmsten Fall sogar. Ob Fluch der Karibik, The Matrix, Men in Black - was haben uns die Fortsetzungen gebracht? Aber trotzdem strömen wir wie die Lemminge in die Kinos...

Was mich zurück zu Disney bringt, welches sieben der zehn Top-Filme an den Kinokassen 2019 verbuchen konnte (zuzüglich eines Anteils an Sonys Spider Man: Far From Home); die beiden weiteren Kassenhits Joker und Es, Kapitel 2 kamen von Warner. Mit der Übernahme von 20th Century Fox gehören jetzt u.a. auch Avatar, die X-Men (inklusive Deadpool) und Der Marsianer zum Disney-Imperium. Lassen wir die Avengers-Reihe mal außen vor, die auch zehn Jahre nach der Akquise noch nicht vollkommen disneyfiziert ist, so gibt es aus den letzten 20 Jahren gerade mal zwei Originale vom Mickey-Mouse-Studio, auf die ich ungern verzichten wollte: Fluch der Karibik und Die fantastische Welt von Oz. Dazu eine Handvoll Pixar-Originale und vielleicht noch Jon Favreaus Neuinterpretation des Dschungelbuchs, gleichzeitig die einzige künstlerisch erfolgreiche der durch diesen Fleischwolf gedrehten "Properties". In diesem Jahr gab es gleich drei weitere dieser zynischen Produkte: Dumbo, Aladin und Der König der Löwen (welches das schauderhafte Original noch untertroffen haben soll). Angeschaut habe ich mir die bislang alle nicht. Meine Strategie ist ganz einfach: Ab April werde ich den neuen Streamingservice Disney+ buchen (für voraussichtlich 70 Euro pro Jahr). Ich habe bereits alle Disney-Medien (abgesehen von den Avengers) abgestoßen und werde auch auf weitere Käufe verzichten. Damit macht Disney bei mir unterm Strich ein dickes Minus.

Damit habe ich dann Netflix, Disney+ und Amazon Prime abonniert (wobei Prime ja ein Gemischtwarenladen der erschreckend marktbeherrschenden Online-Krake ist). Zu mehr reichen weder Zeit noch Nerven. Prime Video hatte uns übrigens zeitweise penetrante Werbespots für Eigenproduktionen aufgedrückt, sogar beim Binge-Watching zwischen den Episoden! Dieser Unfug wurde inzwischen wohl wieder eingestellt, aber ich erwarte jeden Moment die Mainzelmännchen zurück. Eine Lachnummer ist Apple TV+, das selbst für fünf Euro im Monat noch maßlos überteuert ist. Und dann gibt es noch die Splitteranbieter, was in diesem Fall eher verbraucherfeindlich ist. So gibt es den Oscar-nominierten Trickfilm Mirai nur bei einem Spezialanbieter für Anime, und Wonder Boys, einen meiner Lieblingsfilme aus den 0er Jahren, in HD und OV nur bei maxdome. Aber wer wird Filme bei Anbietern kaufen, deren Existenz jetzt schon gefährdet ist? Prüfen kann man die Verfügbarkeit übrigens über verschiedene Portale, so etwa Wer streamt es?

Kinojahr


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Vom aktuellen Kino erwarte ich nicht mehr viel. Immer mehr muss man die schönen Momente in mittelmäßigen Filmen genießen. Der Rekordfilm des Jahres hat sicherlich mehr Männer zum Weinen gebracht als je zuvor, war aber trotzdem aus meiner Sicht nur durchwachsen:
I love you 3000.
On your left!
I am Iron Man!
Außerdem fallen mir noch ein: Sarah Connors "I'll be back", Kumail Nanjianis Pawny (treuer Bauer seiner Königin Tessa Thompson), der Balztanz von Rachel Weisz und Nicholas Hoult, Woody Harrelsons Zombie Kill of the Year, Brad Pitt, wie er im blauen Volkswagen Karmann Ghia durch Hollywood düst, das Tänzchen von Sharon Tate (Margot Robbie), Cass und Michelle im Playboy Mansion, und natürlich Emilia Clarke, wie sie Last Christmas singt.

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Von den 76 aktuellen Filmen aus 2019 habe ich immerhin 20 in einem Kinosaal erlebt. Einen vollständigen Blick habe ich dadurch natürlich nicht, selbst für Scorseses monumentales Netflix-Werk The Irishman habe ich noch keine Zeit gefunden. Immerhin kommt eine Top10 aus zwei herausragenden und acht weiteren sehr guten Filmen zustande:
  1. BlacKkKlansman (Spike Lee)
  2. Vice (Adam McKay)
  3. The Favourite (Yorgos Lanthimos)
  4. Spider-Man: Far From Home (Jon Watts)
  5. Leid und Herrlichkeit (Pedro Almodóvar)
    Pedros schönster Film seit zehn Jahren, mit einem überragenden Antonio Banderas in der Hauptrolle.
  6. Green Book (Peter Farrelly)
  7. Zombieland 2 (Ruben Fleischer)
  8. Stan & Ollie (Jon S. Baird)
  9. Bird Box (Susanne Bier)
  10. Last Christmas (Paul Feig)

Weitere gute Filme (7/10):

  • Avengers: Endgame (die Russos)
  • Beale Street (Barry Jenkins)
    Schwarzes Theater
  • Captain Marvel (Anna Boden & Ryan Fleck)
  • Colette (Wash Westmoreland)
    Keira Knightley als Künstlerin, die sich in einer Männerwelt durchsetzen muss, hat mir weitaus besser gefallen als etwa die Oscar-nominierte Glenn Close in Die Frau des Nobelpreisträgers oder Elle Fanning in Mary Shelley.
  • Juliet, Naked (Jesse Peretz)
    Kein großer Wurf, aber eine schöne Verfilmung von Nick Hornbys bestem Roman seit zehn Jahren. Ethan Hawke als altersmilder Rockstar ist grandios.
  • Killer's Bodyguard (Patrick Hughes)
    Traumpaar Ryan Reynolds und Samuel L. Jackson
  • Nur ein kleiner Gefallen (Paul Feig)
    Paul Feigs Dreiecksgeschichte mit Anna Kendrick, Blake Lively und Henry Golding schwächelt tonal, macht aber trotzdem Spaß.
  • Once Upon a Time ... in Hollywood (Quentin Tarantino)
  • Sorry to Bother You (Boots Riley)
    Dieser kleine Hugo-nominierte SF-Film ist in Deutschland gar nicht ins Kino gekommen (momentan bei Amazon Prime streambar). Gegen Ende schlägt die Satire leider über die Stränge.
  • Terminator 6: Dark Fate (Tim Miller)
  • The Bachelors (Kurt Voelker)
    Leise, behutsame Komödie mit dramatischen Untertönen. Welch wunderbare Idee, J.K. Simmons und Julie Delpy zusammenzubringen!
  • Wunder (Stephen Chbosky)
    Schöner Kitsch mit Julia Roberts und Jacob Tremblay (Room).

Ärgernisse (1/10):

  • Joker (Todd Phillips)
  • Feinde - Hostiles (Scott Cooper)
    Ein grauenhaft chargierender Christian Bale in einem schlimmen Western
  • The Death of Stalin (Armando Iannucci)
    Bin ohnehin kein Fan von Iannucci (Veep), aber hier hätte doch irgend jemand der hochkarätigen Beteiligten merken müssen, dass das Konzept nicht funktioniert!

Weitere Schlusslichter (2/10)

  • Brightburn (David Yarovesky)
    Eine gute Idee (Anti-Superman) macht noch keinen guten Film. Da hätte ich selbst ein besseres Drehbuch draus machen können. Mein Ausgangspunkt: Die Kents zu unfähigen/missbrauchenden Eltern machen!
  • Eighth Grade (Bo Burnham)
    Mit dieser preisgekrönten Pennälergeschichte konnte ich überhaupt nichts anfangen.
  • Greta (Neil Jordan)
    Isabelle Huppert mag ich ohnehin nicht, und Neil Jordan (The Crying Game) fällt nix mehr ein.
  • Widows (Steve McQueen)
    Qualvolle Frauenpower

Ehrlose Erwähnungen (3/10):


Ausblick




Ich gehöre inzwischen nicht mehr zu den Menschen, die atemlos auf die nächsten Hollywood-Wunder warten. Listen wie "50 Filme, die Ihr 2020 nicht verpassen dürft" lösen bei mir nur noch ein Schmunzeln aus. Aber auf ein paar Highlights bin ich doch gespannt. Am wenigsten Erwartungen habe ich noch beim 25. offiziellen Bond No Time To Die.  Die Craig-Ära war für mich Hit & Miss. Richtig überzeugt hat mich nur sein Debut Casino Royale (2006). Der neue Film soll direkt an Spectre (2015) anschließen, nicht unbedingt eine Empfehlung. Und dann gibt es noch einen weiteren 25. Film, nämlich im November: The Eternals aus der Avengers-Reihe. Durchaus möglich, dass Kevin Feige hier auf seinen ersten Flop hinsteuert. Bis dahin gibt's übrigens erstmal das Black-Widow-Prequel (Ende April). Marvel hat inzwischen ähnlich wie 007 einen grenzwertigen Level von Selbstreferenzierung erreicht. Das kann einem gelegentlich das Filmerlebnis versauern (wie zuletzt bei Spider Man: Far From Home), ist allerdings auch für herrliche Scherze gut. So legt Happy (Jon Favreau) im Jet als Hommage an Iron Man eine AC/DC-Scheibe auf, die von unserem Gen-Z-Spidey kommentiert wird mit "Oh, ich liebe Led Zeppelin!".



Nachrufe


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Bruno Ganz war einer der großen, international anerkannten deutschsprachigen Schauspieler. Seine berühmte Darstellung Hitlers war mutig, auch wenn ich Der Untergang nicht besonders schätze. Für mich bleibt er immer mein Lieblingsengel aus Der Himmel über Berlin.

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Stanley Donens Spezialität waren Musicals, er war ausgebildeter Tänzer. Mit Singin' in the Rain schuf er gemeinsam mit Gene Kelly das schönste des Jahrhunderts. In Royal Wedding ließ er Fred Astaire an der Decke seines Hotelzimmers tanzen. Mit Audrey Hepburn drehte er nach Funny Face auch noch das für immer spaßige Charade ("How do you shave in there?" macht sie sich über das Kinn-Grübchen des 25 Jahre älteren Cary Grant lustig) und die melodramatische Romanze Zwei auf gleichem Weg. Donen wurde 94.

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Rutger Hauer war bereits eine Ikone des jungen niederländischen Kinos der 70er, als Ridley Scott ihn als Gegenspieler von Harrison Fords Decker in Blade Runner besetzte. Ein Teil des berühmten Schlussmonologs stammt von ihm selbst, was man allein schon am Grammatikfehler erkennen kann (es müsste "in the rain" heißen). All these moments will be lost in time - like tears in rain. Ein paar Jahre später glänzte er in einer seltenen Hauptrolle in Ladyhawke. Zuletzt war er in Luc Bessons missglückter Valerian-Verfilmung zu sehen.

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Danny Aiello war bei seinem Kinodebut schon 40, doch gleich sein zweiter Credit war für Der Pate, Teil 2. Er hatte kleine Rollen in vielen weiteren großen Filmen, so in Es war einmal in Amerika, Mondsüchtig und (Oscar-nominiert) als Pizzeria-Inhaber in Do the Right Thing. Mir wird er immer im Gedächtnis bleiben als Vermittler und "Bank" des Auftragskillers, in Leon der Profi.



Vonda McIntyre war 1979 nach Ursula LeGuin und Kate Wilhelm die dritte Frau, die einen Hugo für den besten Roman gewann, für Dreamsnake. Abgesehen von diesem schönen Höhepunkt war ihr Output eher sporadisch, darunter Auftragsarbeiten zur Novellisierung einiger Star-Trek-Filme. McIntyre starb am 1. April mit 70 Jahren.

Bildergebnis für cinestar original sony center

Nach zwanzig Jahren schloss zum 31. Dezember das Cinestar Original im Berliner Sony-Center, das in acht Sälen (plus einem Imax-Theater) meist englische Originalfassungen zeigte. 416 Vorstellungen habe ich dort erlebt (nur fünf davon im Imax - nicht mein bevorzugtes Format). Die erste war 2002 Good Advice, die letzte vor einigen Wochen Last Christmas. Es war eine Berliner Institution, in der man auch außerhalb der extravaganten Premieren oft Prominente sichten konnte, etwa Tom Tykwer. Die Besucherzahlen waren gut, aber offenbar hat der Vermieter Ideen, wie er noch mehr Geld aus dem Objekt herausschlagen kann. Viel Glück bei der Umwidmung der Kellerräume!

Klassische Rezension: Ein süßer Fratz (1957, 7/10)



Funny Face ist ein gutes Beispiel dafür, daß ein schwaches Drehbuch durch brillante Darsteller und einen einfallsreichen Regisseur (Stanley Donen) noch zu einem guten Film verarbeitet werden kann. Umso ironischer, daß ausgerechnet Autor Leonard Gershe für den Oscar nominiert wurde. Die Paarung Audrey Hepburn - Fred Astaire hat aber durchaus ihren Charme. Leider wird aus ihren Gegensätzen nicht mehr Kapital geschlagen. Die moderne Performance der Hepburn in einer Pariser Kneipe (ein absoluter Höhepunkt)  wäre ein guter Ansatz gewesen, ihr den "klassischen" Tanz Astaires entgegenzustellen - eine vertane Chance. Auch bemerkt Pauline Kael sehr scharfsinnig, daß dessen Alter durch die Nichterwähnung noch betont wird. Hier hätte die Geschichte ansetzen müssen. Was bleibt, ist eine Sammlung von teilweise hervorragenden Vignetten, zusammengehalten mehr von der Musik der Gershwins als von einer überzeugenden Romanze. Gut (7/10).

Klassische Rezension: Ladyhawke (1985, 8/10)



Ladyhawke ist so einer dieser Filme, an die man sich gern aus seiner Jugend erinnert, die man aber eigentlich nicht verteidigen kann. Die Idee der tragischen Liebesgeschichte böte Raum für eine epische Inszenierung, ist aber weitgehend ideenlos umgesetzt. Die Hindernisse, die sich den Protagonisten in den Weg stellen, sind großenteils belanglos. Allerdings gibt es auch schöne Landschaftsaufnahmen und zumindest eine sehr berührende Szene, in der sich Navarre und Isabeau zum Sonnenaufgang für einen kurzen Glücksmoment in Menschengestalt wahrnehmen.
Die Musik, quasi vom Alan Parsons Project (ohne Eric Woolfson) eingespielt, wirkt heute noch anachronistischer als damals, die stampfenden Syntho-Rhythmen erzeugen immerhin ab und zu einen Adrenalinschub, den die Geschehnisse auf der Leinwand nicht unbedingt rechtfertigen. Insgesamt schafft es Richard Donner nicht, einen durchgängigen Ton für den zudem zu langen Film zu finden. Slapstick-Momente lösen sich ab mit holprigen Kampfszenen, dramatische Action wird entwertet durch unlogisches Verhalten und unklare Schnittsequenzen.
Die Nebendarsteller (u.a. Alfred Molina in einer frühen Rolle als Wolfsjäger) geben eher die Knallchargen. Die Hauptdarsteller jedoch stehen über all dem. Rutger Hauer, nur wenige Jahre nach seiner Paraderolle als Android im Blade Runner, spielt den tragischen Held mit Würde und Zurückhaltung. Michelle Pfeiffer strahlt in ihren wenigen Szenen in überirdischer Schönheit, hat aber auch den notwendigen Schalk im Auge. Matthew Broderick mag vom Typ her nicht ins Mittelalter gehören, ist aber stets von magnetischem Interesse (dies war wohl sein Durchbruch, ein Jahr später wurde er mit "Ferris macht blau" zum Teenie-Idol).
Alles in allem hatte ich auch beim Wiedersehen noch meinen Spaß, vermischt mit einem Schuß Nostalgie.

Samstag, 7. Dezember 2019

Jetzt auch als Augwurm: Last Christmas (8/10)

Oft ist es am besten, einen Film ohne viel Vorwissen zu erleben. Drei Wochen nach Bundesstart (der ohnehin saisonal so verfrüht war wie Lebkuchen im November) übernahm ich also spontan den Altersvorsitz im kleinen Saal 6 des Cinestar Original im Sony Center für eine Vorstellung von Last Christmas. Ich verlinke diesmal bewusst keinen Trailer, denn der verrät schon viel zu viel über dieses weihnachtliche Kleinod, das leider kein großer Hit geworden ist. Selbst das weibliche Publikum, auch an diesem Abend traditionsgerecht in der Überzahl, strömte nicht wie erhofft in die Kinos. Dabei waren in diesem Jahrzehnt gelungene romantische Komödien Mangelware. Vielleicht sind Gefühle einfach aus der Mode gekommen.



Mag auch sein, dass das Konzept zu clever war, das Emma Thompson über Jahre hinweg gemeinsam mit ihrem Ehemann Greg Wise entwickelt hatte. (Er war übrigens der Schuft Willoughby in Sinn und Sinnlichkeit (1995), für dessen Adaption sie einen Oscar gewann.) Es ist in ungewöhnlicher Weise von Whams Weihnachtsklassiker inspiert. Nicht, dass der Erzählrahmen für die Romanze oder der "Twist" besonders originell wären, aber es kommt eben auf die Details und die Figuren an. Und dafür hat Dame Emma ein gutes Händchen. Und es gelingt ihr nebenbei auch auf unaufdringliche Weise ein Stimmungsbild der Brexit-Hauptstadt. In Paul Feig (Susan Cooper Undercover, Ghostbusters), dem britischsten aller amerikanischen Regisseure, fand sie einen gleichgesinnten Ausführenden für diese in London gefilmte Produktion. Wer den Paradiesvogel einmal in einem Making Of erlebt hat, weiß, dass er jeden Tag mit einem neuen Anzug zum Dreh kommt, ansonsten aber für jeden Schabernack zu haben ist. Er steht einfach für Eleganz und Esprit (auch wenn mir Brautalarm gar nicht gefallen hat). Wer allerdings George Michaels Popschnulzen gar nicht ertragen kann, ist hier falsch.

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Romanzen stehen und fallen mit ihren Hauptdarstellern, und ach, Emilia Clarke, die gerade 33 geworden ist, aber locker für 26 durchgeht, könnte von mir aus jedes Jahr zwei davon drehen. Niemand hat so ausdrucksstarke Augenbrauen und ein solch entwaffnendes Lachen wie die Drachenmutter außer Dienst. Und wer hätte gedacht, dass sie auch eine schöne Singstimme hat? Wie im Cape macht ihre Kate auch im Elfenkostüm eine gute Figur. Ihr Partner Tom ist überraschend mit Henry Golding besetzt, dem reichen Schönling aus Crazy Rich Asians, was aber fabelhaft funktioniert, wie überhaupt das ungewöhnliche Casting zum Gelingen des Films beiträgt (und den Kitsch in Grenzen hält). Höhepunkt ist erwartungsgemäß Emma Thompson selbst als Kates, Verzeihung, Katarinas Mutter, Immigrantin aus Jugoslawien (Kroatien, offenbar) mit komödiantisch gebrochenem Akzent. Ähnlich wunderbar ist Michelle Yeoh (Tiger & Dragon) als Kates Chefin "Santa". Lustigerweise hatte sie in Crazy Rich Asians Henry Goldings Mutter gespielt.

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Eigentlich nur als Ersatz für Woody Allens A Rainy Day in New York, den das Cinestar leider nicht zeigt, bin ich mit Last Christmas im regnerischen London gelandet. Bereut habe ich das keineswegs, insbesondere weil die Heimkino-Auswertung ja erst in der warmen Jahreshälfte erfolgen wird, und dafür ist die Geschichte vielleicht doch zu sentimental. Also vergebe ich ein festliches Sehr gut (8/10).

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Bonus: meine DVD-Rezension zu Sinn und Sinnlichkeit:

"Sinn und Sinnlichkeit" oder vielleicht besser "Verstand und Gefühl", dieser Titel steht für die beiden Schwestern Elinor und Marianne, grandios gespielt von Emma Thompson und Kate Winslet. Aber natürlich ist die Sache nicht ganz so einfach - Elinor bleibt nicht gefühllos, und Marianne kommt zum Schluß auch noch zu Verstand. Doch bis es soweit ist, martern uns Emma Thompson (Drehbuch) und Ang Lee (Regie) in Vertretung von Jane Austen fast mit falschen Hoffnungen, Mißverständnissen, peinlichen Situationen, versöhnen uns dann aber doch wieder mit Witz, Lebensmut und Poesie. Wer dies alles übersteht, wird am Ende reich belohnt und braucht sich seiner Tränen nicht zu schämen. Jede Nebenrolle ist hier perfekt besetzt, man achte besonders auf Alan Rickman als Colonel Brandon, der als Bösewicht ("Die Hard") bekannt wurde und zuletzt eine recht mürrische Stimme Gottes in Kevin Smiths Bravourstück "Dogma" abgab. Hier ist er plötzlich zerbrechlich und herzenswarm; wunderbar, wie gut manchmal eine Besetzung gegen den Typ aufgeht. Und am stammelnden Hugh Grant ("Excellent", "Perfect"), dem einzigen Briten der Welt mit lupenreinem Queens-English, kann man sich sowieso nie sattsehen. Man hat jederzeit das Gefühl, daß hier das Optimum aus diesem Stoff herausgeholt wurde - gäbe es doch mehr Literaturverfilmungen diesen Ranges (9/10).

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Sonntag, 24. November 2019

Aus der Klamottenkiste gestreamt: Mumford (Lawrence Kasdan, 1999: 9/10)

Es gibt zwei Persönlichkeitstypen, die Psychologen werden wollen. Die einen wollen ihre Mitmenschen verstehen lernen, was aber kein Studium vermitteln kann. Die anderen haben bereits einen gutes Verständnis ihrer Mitmenschen und wollen dieses auf eine anerkannte Grundlage stellen. Bei diesen kann man nur hoffen, dass ihnen das Studium ihre Instinkte nicht mit theoretischen Modellen übertüncht.



Zum zweiten Typ gehört definitiv Dr. Mumford (Loren Dean), der eines Tages in der Kleinstadt Mumford auftaucht und eine psychotherapeutische Praxis eröffnet. Seine Instinkte sind unverfälscht, denn tatsächlich hat er sein Studium, seine Zeugnisse und Zertifikate erfunden. Trotzdem hat er schnell eine florierende Praxis, denn er kann zuhören und bringt selbst für die merkwürdigsten Macken Verständnis auf. Da ist der Apotheker Henry (Pruitt Taylor Vince), dessen romantisch-sexuellen Phantasien als Film im Film in elegantem Schwarzweiß inszeniert sind (tatsächlich beginnt Mumford mit einer solchen Sequenz, mit Henrys Voiceover im Stil von Marlowe, wobei sein Alter Ego eine, sagen wir, stark idealisierte Version seiner selbst ist). Da sind die Goth-Schülerin Nessa (Multitalent Zooey Deschanel in ihrer ersten Rolle), die Mumford unentgeltlich behandelt (pro Boner, wie Nessa sarkastisch bemerkt),  Besserwisser-Anwalt Lionel (Martin Short), die frustrierte Hausfrau Althea (Galactica-Präsidentin Mary McDonnell) mit einem Shopping-Problem, und Tech-Billionär Skip, der vom Patienten zu Mumfords Freund wird. Ex-Profi Jason Lee zeigt als Skip nebenbei ein paar Skateboard-Kunststücke, aber er hat noch eine größere Überraschung in der Garage...

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Zu Mumfords wichtigster Patientin wird allerdings die chronisch erschöpfte Sofie (Hope Davis), die er mit Spaziergängen und anregenden Unterhaltungen wieder auf die Beine bringt. Und natürlich entwickelt sich mehr zwischen Therapeut und Patientin als die Regularien erlauben. Zu den genannten Personen gesellen sich noch Alfre Woodard als Mumfords hübsche Nachbarin, Ted Danson als Altheas egomanischer Ehemann sowie David Paymer und Jane Adams als Mumfords misstrauische Kollegen. Fürwahr eine illustre Gesellschaft.

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Mumford ist also eine romantische Komödie, aber auch so viel mehr. Der deutsche Verleihtitel Dr. Mumford verkürzt dies leider, denn gleichberechtigt neben dem Doktor steht die Kleinstadt Mumford im Zentrum der Handlung, oder vielmehr ihre Bewohner. Die meisten von Lawrence Kasdans Regieprojekten zwischen 1981 und 1999 sind solche Ensemble-Werke, sorgfältig konstruiert und besiedelt mit faszinierenden Figuren, die leicht stilisiert und doch erkennbar menschlich gezeichnet sind. In seinen besten Filmen erzielte Kasdan einen Realmärchen-Effekt, der dem Zuschauer das Herz erwärmt, ohne kitschig zu wirken. Glanzstück dieser Phase ist Der große Frust (The Big Chill, 1983), der zu meinen zwanzig Lieblingsfilmen zählt. Ähnlich gelungen sind Silverado (1985) und Grand Canyon (1991). Nebenbei war er als Autor noch an ein paar kleinen Filmen beteiligt, Abenteuergeschichten wie Raiders of the Lost Ark und The Empire Strikes Back. Er schrieb auch das Drehbuch zu Bodyguard (1992) mit Kevin Costner und Whitney Houston. Vielleicht wäre das unter seiner eigenen Führung toll geworden, aber unter Mick Jackson wurde die  Kitsch-Schmonzette zwar zum Kassenerfolg, kann heute aber höchstens als Guilty Pleasure genossen werden.

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Mumford wollte im Kino niemand sehen. Vielleicht liegt es am unscheinbaren Hauptdarsteller-Paar Loren Dean und Hope Davis, die zwar wunderbar agieren, denen aber ein Quentchen Star-Qualität fehlt. Unvorstellbar allerdings, dass Johnny Depp für die Hauptrolle im Gespräch war. Das wäre ein komplett anderer Film geworden, und wahrscheinlich kein besserer. Kritiker packen den Regisseur Lawrence Kasdan gern in die Ecke Kunsthandwerk. Ist das die Strafe für wohlkonstruierte Geschichten und humanistische Botschaften? Immerhin sind ein paar Oscar-Nominierungen abgefallen, für die Drehbücher von Der Große Frust, Grand Canyon und Die Reisen des Mr. Leary (Accidental Tourist, 1988). Für letzteren gewann "Thelma" Geena Davis übrigens ihren Oscar als beste Nebendarstellerin. Immerhin vergab Roger Ebert für Mumford 4,5/5 Sternen, mehr als für Der große Frust (2,5/5). Vielleicht war er in der Zwischenzeit auf den Geschmack gekommen. Meine Wertung: Herausragend (9/10).

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Mumford ist nicht als Blu-ray erhältlich, dafür aber in tadelloser HD-Qualität mit deutschem und Originalton bei iTunes. Amazon Prime bietet nur die deutsche Fassung, andere Anbieter ebenfalls die OV. Siehe die informative Seite Wer streamt es?